Vor dem Wahltag zur Bezirksversammlungam 25. Mai 2014 hat das Hamburger Abendblatt die Kritik von „Mehr Demokratie e.V.“ in Hamburg aufgegriffen: die SPD unterlaufe das neue Wahlrecht durch die Art und Weise der Darstellung ihrer Gesamtliste von Kandidaten.


Anke Kewitz und Dierk-Eckhard Becker haben sich dieser Kritik ange- schlossen. Sie erklärten nun zum Wahlergebnis: Obwohl bei der letzten Bürgerschaftswahl zusammen mit der Wahl für die Bezirksversammlung (2011) nach diesem Recht schon gewählt wurde – und das mit ansehnlichem Erfolg für die SPD – ,  geben die Parteistrategen für die Misserfolge 2014 eben diesem Wahlrecht die Schuld und schließen sich einem Zwischenruf der BILD an. Sie sollten sich an die eigene Nase fassen.

Schon 2011 zeigte ein Studie, dass der Rückgang der Wahlbe-teiligung nicht durch das Wahlrecht zu erklären ist. Der Grund: 2011 blieben die Stammwähler der CDU zuhause. 2014 blieben SPD-Wähler zu hause, die unzufrieden mit dem Senat sind aber – wie 2011 die ent-täuschten CDU-Wähler – nicht „fremd-wählen“ wollten.


 Hier zur Erinnerung die Diskussion aus 2011.

Neues Wahlrecht
Bürgerschaft gab Studie bei der Uni in Auftrag.

Ausgewählte Studienergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die Wahlbeteiligung ist bei der Bürgerschaftswahl 2011 auf den historischen Tiefstwert von 57,3% gesunken. Der Anteil der ungültigen Stimmen auf der Landesliste hat sich im Vergleich zur Wahl 2008 verdreifacht. Nahezu alle Wähler/-innen haben jedoch das Stimmpotenzial von jeweils fünf Stimmen auf der Landes- und der Wahlkreisliste genutzt.

Wie auch bereits in der ersten Wahlrechtsstudie der Autoren für die Bürgerschaftswahl 2008 aufgezeigt, konnten bei Stadtteilanalysen signifikante Zusammenhänge zwischen der Wahlbeteiligung, dem Anteil ungültiger Stimmen und sozialschwächeren Stadtteilen nachgewiesen werden (in sozial schwächeren Stadtteilen liegt eine erheblich niedrigere Wahlbeteiligung und ein höherer Anteil ungültiger Stimmen vor). Interessant ist zudem, dass der Anteil der Briefwahlstimmen in diesen deutlich niedriger ausfällt als in den besser situierten Wohngegenden. Die Wahlbeteiligung ist in Wohldorf-Ohlstedt mit 76,7% am höchsten. Sie ist damit fast dreifach so hoch wie in Billbrook, dem Stadtteil mit der niedrigsten Wahlbeteiligung von 26,1%.

Bei der Wählerbefragung (N = 3104 – insgesamt 3104 Befragungen) konnte ein Basiswissen zum Wahlrecht festgestellt werden. So hat der im Fragebogen integrierte Wissenstest ergeben, dass fast alle Wähler/-innen (jeweils um die 95%) mit der Anzahl der zu vergebenden Stimmen und der grundsätzlichen Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens vertraut sind. Die komplexeren Fragen zum Wahlrecht konnten nur von wesentlich weniger Wähler/innen richtig beantwortet werden.

Bei der Befragung der Nichtwähler/-innen (N = 494) ergibt sich in Bezug auf das Wahlrecht erwartungsgemäß ein niedrigerer Wissensstand. Zwar wissen fast vier Fünftel, dass Stimmen angehäuft und verteilt werden können, aber nur knapp die Hälfte kann auf Anhieb die richtige Anzahl der zur Verfügung stehenden Stimmen nennen.

Während den Wähler/-innen das Wahlrecht weitgehend bekannt ist, kennen sie ihre Kandidaten/-innen kaum. Über ein Viertel der befragten Wähler/-innen kennt keine/n einzige/n Wahlkreiskandidaten/-in. Einem weiteren Viertel sind nur 1, 2 oder 3 Kandidaten/-innen namentlich bekannt. Nur ein knappes Fünftel gibt an, zehn oder mehr Wahlkreiskandidaten/-innen zu kennen.

Die klassischen Medien, Zeitungen und Rundfunk, waren die am meisten genutzten Informationsquellen über die Kandidaten/innen.

Etwas über die Hälfte (55%) der befragten Wähler/-innen bewertet das neue Wahlrecht als sehr viel oder eher besser als das alte Wahlrecht mit nur einer Stimme. Jede/r sechste Befragte sieht diesbezüglich keinen Unterschied. Ein gutes Viertel erkennt in der Wahlrechtsänderung eher oder absolut eine Verschlechterung. Interessant ist, dass trotz partieller Unterschiede (größte Zustimmung bei den GAL-Wählern/-innen, niedrigste bei den CDU-Wäh-lern/-innen) die Anhänger aller fünf in der Bürgerschaft vertretenen Parteien mit relativer Mehrheit das neue Wahlrecht besser als das alte Wahlverfahren bewerten.

Auch unter den befragten Nichtwählern/-innen findet das neue Wahlrecht mehr Befürworter als Ablehner. 43,1% der Nicht-wähler/-innen bewerten dieses im Vergleich zu dem alten Wahlrecht mit einer Stimme besser, 28% gleich und 29,9% bewerten das neue Wahlrecht als schlechter. Über die Hälfte der Nichtwähler/-innen (58,9%) findet, dass dieses „zu wenig erläutert“ wurde. 52,7% empfinden es als zu kompliziert.

Für knapp drei Viertel der Nichtwähler/-innen (73%) war das neue Wahlrecht kein Grund für die Wahlenthaltung. Für ein Zehntel war es ein weniger wichtiger Grund unter vielen. Für 9,5% war das neue Wahlrecht ein wichtiger und für 7,3% sogar der ausschlaggebende Grund, nicht wählen zu gehen. Perspektivisch befragt, was sich ändern müsste, damit sich die Nicht-wähler/-innen wieder an Wahlen beteiligen, wünscht deren überwiegende Mehrheit Veränderungen bei Parteien und Kandidaten/-innen Außerdem wird eine bessere Erläuterung des neuen Wahlrechts mehrheitlich befürwortet.

Bei den Listenplatzveränderungen sind die Einflüsse von Persönlichkeits-merkmalen untersucht worden. Den größten Effekt auf Listenplatzgewinne zeigte die Angabe des Stadtteils des Wohnsitzes. Lag dieser außerhalb des Wahlkreises, kam es durchschnittlich zu Listenplatzverlusten. Die Nennung eines unterdurchschnittlich bevölke-rungsreichen Stadtteils im Wahlkreis führte nur zu geringen Gewinnen. Die Kandidaten/-innen aus einem überproportional bevölkerungsreichen Stadtteil, der in dem Wahlkreis liegt, konnten deutliche Listenplatzverbesserungen erzielen.<<

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[Studie der Universität zum neuen Hamburger Wahlrecht (PDF-Download – 2,83 Megabytes)]

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