Wie kam es zum neuen Wahlrecht?

Seit über zehn Jahren gibt es in der Hansestadt nicht nur Wahlen sondern auch Abstimmungen (wie durch das Grundgesetz im Artikel 20 garantiert). Auf der Ebene der sieben Bezirke wurden inzwischen über 80 Bürgerbegehren betrieben. Volksentscheide wurden per Verfassung verbindlich.

Auch das Wahlrecht wurde erneuert und entwickelt. Die Hoffnung: Wenn die Wähler nicht nur wählen sondern aus den Vorschlägen der Parteien (Listen) auch auswählen dürfen, wird es mit der Wahlbeteiligung besser. Das bestätigt sich bis heute noch nicht. Für den Rückgang der Wahlbeteiligung gibt es auch andere Gründe. Einer wiegt besonders schwer: „Stammwähler“ von Volkspareteien ziehen sich zurück, wenn sie von „ihrer“ Partei enttäuscht sind und wechseln nicht. Zuletzt traf das die CDU. Sie erhielt 2011 nicht mehr Stimmen als zehn Jahre zuvor die SCHILL-Partei.

Graphik: Verhältnis Wahlenthaltungen zu Parteien in Hamburg 1991 bis 2011, für größere Anzeige auf das Bild klicken [Apfeljuser und Linuxer haben vielleicht Schwierigkeiten]:

Am 13. Juni 2004 setze sich ein volks-beschlossenes Wahlrecht gegenüber einem Parlamentsvorschlag durch – zum Erschrecken der CDU. Die SPD nahm das Ergebnis hin. Ole von Beust aber änderte das Gesetz (mit seiner Rathausmehrheit von fünf Sitzen) im Oktober 2006 so ab, daß die Volksvertreter dem Volk weiter vorschreiben sollten, nach welcher Regel es seine Vertreter wählt – nicht umgekehrt (wie es sich verfassungsmäßig) gehört.

Durch einen Verrechnungstrick wollte die CDU verhindern, daß Wähler die von den Parteien beschlossenen Listen verändern könnten. Es geht aber darum, daß die Wähler nicht nur wählen sondern auch aus dem Personalangebot der Parteien auswählen können. SPD und GAL trieben der CDU diesen Trick vor dem Verfassungsgericht aus (April 2007).

2008 hatten die Hanseaten schließlich ein neues Wahlrecht für die Bürgerschaft wie für die Bezirke: in den Wahlkreisen konnten die Hamburger Kandidaten direkt wählen. Dort konnten sie „kumulieren“ und „panaschieren“. Dort konnten sie nicht nur wählen sondern auch auswählen. Allerdings für die Landes/Bezirksliste gab es nur eine Stimme. Damals 2008.

Wer ausgewählt war, konnte in der Bürgerschaft wie in den Bezirken gleichsam im Vorgriff seinen Sitz erobern. Die per Landes- oder Bezirksliste gewählten (aber nicht ausgewählten) Kandidaten konnten so viele Plätze besetzen wie noch frei waren. Schon 2008 konnten die Wähler in den Wahlkreisen kumulieren (häufeln – jeder konnte einem Kandidaten bis zu fünf seiner Stimmen geben) oder panaschieren (verteilen – jeder konnte seine bis zu fünf Stimmen auf die Kandidaten zum Beispiel der SPD – oder auch auf Kandidaten verschiedener Parteien (zum Beispiel SPD und GAL – umgekehrt: zum Beispiel GAL-Wähler können ihre Nähe zu einem SPD-Kandidaten durch Verteilung zum Ausdruck bringen).

Inzwischen können wir vergleichen, ob sie, die SPD-Wähler, die Reihenfolge auf den Listen so bestätigen, wie die Partei es beschlossen hat, oder ob sie, die SPD-Wähler, in ihrer Auswahl abweichen, welchem Kandidaten sie eine wichtigere Rolle im Parlament wünschen. Die Umfrage-Institute erheben das seit Jahren in ihren regel-mäßigen Stimmungsbildern.

Mehr Demokratie e.V. in Hamburg sieht erfreuliche Effekte beim Wahlergebnis 2011, räumt aber auch ein, daß einige redaktionelle Änderungen bei den Wahluntgerlagen vorteilhaft wären und man ja fürs nächste mal lernen kann.

Eine bedauerliche Panne: Die an alle Wahlhaushalte verschickten Informa-tionsunterlagen kamen zu spät und waren mühsam zu studieren. Auch das kann man besser machen.

Zur Einnerung: SPD und GAL zerrten 2007 die CDU vor das Landesverfas-sungsgericht, um die von der CDU mit ihrer knappen Stimmenmehrheit durchgesetzte Wahlrechtsnovelle anzugreifen.

Immerhin: Die so genannte „Relevanzschwelle“, die verhindern sollte, daß die Wähler Kandidaten „auswählen“ und sie von den hinteren Listenplätzen nach vorne schieben können, wurde für verfassungswidrig und damit „nichtig“ erklärt. Hier die Bilder:

Videos:Der Wahlrechtsstreit 2007 vor Gericht/Das Wahlrechtsurteil 2007

„Das Imperium schlägt zurück“ – Vortrag Elmar Wiesendahl [l.] 30.06.2006
in der Patriotischen Gesellschaft von 1765 (DAZU: Hintergrundinformationen – Ladezeit inkl. Lesezeichen ca. 1′)

Andreas Dressel [r.], Fraktions-Chef der SPD im Rathaus, war 2007 Wortführer der SPD-Fraktion bei der Normenkontrollklage vor dem Verfassungsgericht. Die so genannte „Relevanzschwelle“, mit welcher die CDU die Reihenfolge ihrer Kandidatenliste vor dem Wähler schützen wollte, wurde – wie gesagt – für nichtig erklärt. [HIER zum pdf, 6 Seiten]

1 Antwort to “Wahlrecht”



  1. 1 Nach der Wahl! « Trackback zu 19/05/2011 um 13:56
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